Post by Hans-Jürgen MeyerPost by Konni Schellergestern trug sich ein lustiger Vorfall in meinem Gasthaus zu. Ein Gast
kam rein, gegen 22:30 Uhr, setzte sich und verlangte die Karte.
Das findet Ihr um die Zeit lustig? Manchen Köchen treten um die Zeit die
Tränen in die Augen...
Nunja. Kommt auf das Etablissement an. Allerdings interessiert ich als
Gast der Zustand der Augen des Kochs eher nicht - entweder der Laden
will mir was verkaufen oder nicht. Will er nicht, geh ich halt woanders
hin.
Wobei ich persönlich (und viele meiner Bekannten) es durchaus bedauere,
daß man hierzuorte selten nach 21:30 noch irgendwo was vernünftiges
essen kann. Mit ner auf unkompliziertere Gerichte reduzierten Karte
könnte man ja durchaus leben. Naja, provinzielles Nest halt - im
Ergebnis macht den Umsatz dann öfters die Schnellimbiß-Industrie aller
Couleur. Die Gastronomen werden es wohl nicht nötig haben.
Post by Hans-Jürgen MeyerPost by Konni SchellerDanach bestellte er ein Schnitzel[1].
Aufmerksame Leser wissen bereits, dass es bei mir kein Schnitzel auf der
Karte gibt.
Warum nicht? Damit kann man jeden Japaner, Amerikaner und jeden 2.
Deutschen glücklich machen...
Post by Konni SchellerDas haben wir dem Gast dann auch gesagt und nach einigem
ungläubigen Fragen war der Fall mittels eines Kreefleischs[2]
unbürokratisch[3] erledigt.
Mal angenommen, und jetzt wirklich hypothetisch, ich habe in meiner
Speisekarte irgendwo auf Seite 35, aber schon noch bei den anderen
Speisen ein Schnitzel, sagen wir für 50,-- Euro stehen.
Dann stellt sich halt die Frage, ob das unter "Wucher" bzw.
Sittenwidrigkeit fällt. In jedem Fall würde der Gast wohl kein zweites
Mal kommen.
Post by Hans-Jürgen MeyerPost by Konni SchellerMuss er den Preis zahlen? Und nein, ich will das nicht machen, ich frage
nur hypothetisch.
IANAL: Ja, denn
1. hätte er Fragen können
2. Wenn er denn lesen kann, so hätte er es lesen können
IANAL: Nein, denn ein so unerwartet hoher Preis verstößt gegen die
"guten Sitten", gegen das AGBG (unerwartete Klausel) und würde zudem
unter den Wucherparagraphen fallen.
Da müßte das Restaurant schon eine sehr edle Aufmachung haben und auch
die anderen Preise für einfachere Gerichte in der Karte entsprechend
hoch sein.
Ohnehin halte ich das für keine gute Idee, denn so ein Gast wird wohl
nicht wiederkommen. Mit der geschilderten Lösung könnte zumindest ich
allerdings leben und das Etablissement wäre wenn es geschmeckt hat ob
seiner Flexibilität bei der Planung des nächsten Geschäftsessens u.U.
durchaus auf der Kandidatenliste.
Post by Hans-Jürgen MeyerPost by Konni Scheller[1] im Original war es ein gebackenes Kotelett, aber das tut hier nichts
zur Sache.
Nunja...
Post by Hans-Jürgen MeyerBei mir wirds Kotelett immer gebraten. Was ist das besondere am backen?
Das besondere am backen ist, daß dieser Kunde das offensichtlich
bevorzugte. Du willst sein Geld? Dann mach, was der Kunde will. Oder sag
ihm, daß Du an Geschäften mit ihm kein Interesse hast, dann geht er halt
woanders hin - die Konkurrenz kann den Umsatz sicher gut brauchen.
Ok, ob der fortgeschrittenen Stunde wäre der Hinweis "sorry, unser Koch
ist kurz vor Feierabend, darfs vielleicht was ein bißchen
unkomplizierteres sein?" durchaus akzeptabel.
BTW dazu mal ein erfreuliches Erlebnis:
In den späten 1990ern bin ich mal mit nem Kunden recht weit gen Osten
(Bernburg) gefahren, um dort die Internet-Anbindung für dessen dortige
Dependance vor Ort einzubauen und gleich das dortige Netz ein bißchen
auszumisten.
Nun begab es sich, daß man aufgrund verschiedener Widrigkeiten nach
10-stündiger Fahrt erst gegen 16 Uhr vor Ort ankam, die anstehende
Arbeit sich bis weit in die Nacht hinzug und erst gegen 23:30 Uhr das
gebuchte "Park Hotel" aufgesucht werden konnte.
An derlei Umstände gewöhnt, wies ich den Kunden gegen 21:00 Uhr darauf
hin, doch mal beim Hotel anzurufen und Bescheid zu sagen, daß wir erst
später kämen und zu fragen, wo in der Gegend um die Zeit noch ein
Häppchen feste Nahrung zu kriegen sei. Der meinte aber, beides sei kein
Problem und den Pizzaservice müssen wir uns mangels Qualität nicht
wirklich geben.
Nunja, so liefen wir dann zu besagter Zeit kurz vor Mitternacht in dem
Hotel ein. Ich hatte eigentlich erwartet, nen Nachtportier vorzufinden
und mit viel Glück noch beim Würger-King um die Ecke ein paar Pommes zu
bekommen - weit gefehlt. Zwar war der Nachtportier schon im Dienst und
zeigte uns unsere Zimmer, doch das Hotelrestaurant war noch hell
erleuchtet. Nach entgegennahme der Schlüssel und Verstauen des Gepäcks
fand ich mich auf Zureden des Kunden dann 10 Minuten später in selbigem
ein. Meine Erwartung war ungefähr "naja, noch ein Bier und mit Glück ein
Sandwich an der Bar werden sie wohl produzieren können".
Die sofort herbeieilende Bedienung fragte freundlich, wo wir (in dem zu
dieser Zeit völlig leeren Restaurant, das aber keine Anzeichen von
"schonmal aufräumen" zeigte) zu sitzen wünschen. Höflich nahm ich
trotzdem eine recht gemütliche Nische nahe dem Kücheneingang, man muß
die Leute ja nicht unnötig in der Gegend rumjagen. Getränke wurden
prompt per Bestellung geliefert, da war aber auch nix aufwendiges bei
(zwei Weizen, ein Mineralwasser).
Als ich dann fragte, ob es denn noch irgendwas was zu Essen gäbe,
brachte mir die freundliche junge Dame ohne weiteren Kommentar die
Speisekarte. Ich fragte, was denn um diese Stunde noch zu haben wäre,
und sie schaute dann nur erstaunt und meinte nur "steht doch auf der
Karte, wählen Sie nur getrost aus, alles kein Problem."
Wohlgemerkt: 23:30 Uhr, Restaurant ist schon lange komplett leer, es
gibt nicht mal ne Einschränkung der Art "naja, der Rostbraten und der
Fisch sind leider aus, bei den Gemüsebeilagen siehts auch eng aus, aber
ne Portion Gulasch oder ein Schnitzel mit Pommes kriegen wir schon noch
hin". Was ja durchaus zu akzeptieren wäre.
Die Lieferung der aufgrund großen Hungers doch recht üppig ausgefallenen
Speisen erfolgte prompt, der Koch servierte persönlich und wirkte weder
lustlos noch genervt, sondern fragte sogar sehr freundlich nach, ob
alles recht wäre. Und beim Abtragen, ob es noch ein Dessert sein darf.
Dabei waren nichtmal die Preise irgendwie exorbitant, an sich sogar
gemessen an hiesigen Verhältnissen recht günstig. Natürlich fiel unser
Trinkgeld dafür ein bißchen wohlwollender aus - inclusive der Bitte,
doch der Küche auch was davon abzugeben. Prompt gabs dann auch noch ne
Runde Grappa auf Kosten des Hauses.
Man sieht: auch in der Servicewüste Deutschland scheint es noch Oasen zu
geben.
--
Erhard Schwenk
Akkordeonjugend Baden-Württemberg - http://www.akkordeonjugend.de/
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